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  • PETRA GELL

ELLI MARGARETE KAPSTADT



Was hat dich denn dazu bewegt, nach Südafrika zu gehen? Ein halbes Jahr, das ist ja voll lang, und das mit der ganzen Familie – wie mutig von dir?


Dazu muss ich etwas ausholen. Künstler*innen ohne Kinder hangeln sich oft von einer Künstlerresidenz zur nächsten, bewerben sich auf Stipendien oder kämpfen sich durch Förderanträge, um sich Raum für ihre Kunst zu schaffen. Bei mir lief das Ganze ein wenig anders ab. Schon während meines Kunststudiums bekam ich zwei meiner drei Kinder, und durch die Kinder und den Job meines Partners waren wir an einen Ort gebunden.


Zweimal verbrachten wir mit den ersten Beiden ein paar Monate in Latein- und Mittelamerika, was mich in meinen Arbeiten jedes Mal ein großes Stück vorangebracht hat. Dann kam unsere Jüngste mit einem sehr seltenen Gendefekt zur Welt. Die letzten drei Jahre waren ein ständiges Auf und Ab zwischen Krankenhausaufenthalten und der täglichen Pflege. In dieser Zeit hatte die Kunst keinen Platz in meinem Leben, was für mich zusätzlich sehr belastend war.


Gerade als Künstlerin hat man es schwer, nach einer längeren Pause in der Kunstwelt Fuß zu fassen. Über Care- Arbeit wird hier wenig gesprochen, und Unterstützung gibt es kaum.


Ein guter Freund und Künstler hat mir in dieser Situation den nötigen Antrieb gegeben und mich darin unterstützt, Bewerbungen auf Stipendien zu schreiben. Durch Zusagen und Fördergelder konnte ich mich wieder auf die Atelierarbeit konzentrieren – Danke dafür, Simon*.


Neue Arbeiten führten zu neuen Portfolios, mit denen ich mich dann wiederum auf die Residenz von Atelier Mondial beworben habe. Als ich die Zusage für meine Wunschdestination „Südafrika“ erhalten habe, wurde ich aus meiner Abwärtsspirale hinauskatapultiert. Eigentlich gab es wenig Zweifel, ob das mit unseren drei Kindern funktionieren wird, denn ich hatte 2010 schon ein Jahr in Johannesburg und Pretoria gelebt und konnte ganz gut einschätzen, was uns erwartet. Unsere Tochter mit Behinderung war nie ein Grund "dagegen", sondern eher ein "erst recht".


Aber mit der Entscheidung, dass Stipendium anzunehmen ist es noch nicht getan. Die allermeisten Kunstresidencies sind auf Künstler*innen ohne Kinder ausgelegt. Es werden die Kosten von einer Person abgedeckt, die Unterbringungen sind auf eine Person ausgelegt, und Zuzahlungen sind nicht vorgesehen. Somit scheitert es letztendlich bei so vielen Künstler*innen besonders am finanziellen Aspekt.


Atelier Mondial hat versucht, mich mit ihren Mitteln zu unterstützen, und es mir offengelassen, wo in Südafrika ich meine Residency verbringe. Wir haben uns unsere Unterkunft selbst gesucht und konnten die Residency somit perfekt auf die Bedürfnisse aller anpassen. Wir hatten großes Glück, dass mein Partner ein Sabbatical nehmen konnte und wir finanziell etwas sicherer waren.




Bist du denn schon so weit bei deinem temporären Zuhause angekommen, dass es sich wie ein Zuhause anfühlt, und woran machst du das fest?


Für mich ist zuhause dort, wo die Menschen sind, die ich schätze und liebe, und wo man sein kann, wer man wirklich ist. Ich habe mich seit der ersten Woche schon ziemlich wohl gefühlt. Unsere Vermieterin ist selbst Künstlerin und hat mich in die Kunstwelt Kapstadts mitgenommen. Durch sie habe ich sehr schnell Anschluss gefunden und kam in einem tollen Frauen-Studiokollektiv unter. In unserer Unterkunft gibt es zwei Katzen und einen Hund, die versorgt werden müssen und uns und den Kindern ein heimeliges Gefühl geben. Alle drei Kinder sind super in Schule und Kindergarten angekommen, und mein Mann hat mit seiner Arbeit eine tolle NGO in Hout Bay unterstützt. Irgendwie hat einfach alles von Anfang an gepasst, und Kapstadt war sofort ein temporäres Zuhause, das wir alle im Herzen tragen werden.


Wie kann ich mir dein Leben als Künstlerin in einem neuen Land, in einer anderen Kultur vorstellen, und wie lässt sich das mit deiner Familie vereinbaren? Welche Challenges, Herausforderungen, aber auch Erkenntnisse und Errungenschaften ergeben sich dadurch?


Durch die Schulpflicht der Kinder sind wir sehr schnell in einem neuen Alltag gelandet. Am Morgen werden wie in Deutschland auch alle Kinder gerichtet, und dann bringen wir sie in die Schule und den Kindergarten. Hier beginnt also mein Tag im Studio, in der Stadt oder in der Natur, die ich hier rund um Kapstadt so sehr liebe. Durch das kontinuierliche Arbeiten haben sich Routinen im Studioalltag gebildet, die es mir sehr erleichtern, schneller ins Arbeiten zu kommen. Die werde ich mir in Deutschland beibehalten.


Besonders habe ich hier die Arbeit als Kollektiv zu schätzen gelernt. Sieben Frauen, vier verschiedene Nationalitäten, keine von uns macht das Gleiche, aber alle unterstützen sich gegenseitig. Zurück in Deutschland ist es mir wichtig, etwas Ähnliches aufzubauen und rauszukommen aus der einsamen Atelierarbeit. Mein Alltag hier besteht aus viel Beobachten, Staunen und Entdecken. In Kapstadt treffen unglaublich viele Kulturen der ganzen Welt aufeinander und man könnte diese Stadt auf keinen Fall in zwei Sätzen beschreiben. Durch die große Kluft zwischen Armut und Reichtum und großen politischen Probleme ist Südafrika eines der gefährlichsten Länder der Welt. Als privilegierte Europäer sind wir davon nicht sehr betroffen, aber man muss sich daran gewöhnen, dass die wundervollsten Orte von Mauern und Zäunen umgeben sind. Die Kinder werden zum Fußball, Töpfern und Reiten begleitet, da es als zu gefährlich gilt, sie allein laufen zu lassen. Somit muss man am Nachmittag viel Zeit investieren, um das alles unterzukriegen.




Was treibt dich an als Mensch, als Künstlerin, als Frau, als Mutter – worauf bist du besonders stolz?


Vier Begriffe, die ich gar nicht voneinander trennen kann, und doch hat jede Identität seine eigene Berechtigung. In jeder Rolle werde ich überwältigt  von Erfahrungen und Einflüssen, und in der Kunst komme ich zum Innehalten. Ich verarbeite sehr vieles in meinen Arbeiten. Sie dienen mir als Tagebuch und die Sprache die ich nutze, besteht meist aus Formen und Farben. Durch die Kunst habe ich einen völlig anderen Blick auf meine Umwelt, wofür ich sehr dankbar bin.

Besonders stolz bin ich auf meine Familie und meine drei tollen Kinder und dass ich trotz Rückschlägen im Leben dort steh, wo ich jetzt stehe und nicht zu träge bin, um mich in neue Abenteuer zu schmeißen. Auch wenn mal was echt daneben geht, liebe ich Dinge einfach zu machen, ohne viel nachzudenken.




Was ist mit deinem Zuhause in Deutschland? Wird das Haus bewohnt, vermisst du es? Hast du ein konkretes Projekt in Kapstadt vor? Was liebst du im Moment an dem Ort, wo du gerade bist, besonders?


Ohne Untervermietung unserer Wohnung wäre unsere Zeit in Kapstadt finanziell nicht möglich gewesen. Wir hatten großes Glück, dass eine nette Familie aus Norwegen zur gleichen Zeit das gleiche Vorhaben wie wir in Deutschland hatte und sich nun auch noch um unseren Kater kümmert. Da wir wissen, dass unsere Zeit hier temporär ist, vermissen wir Freiburg nicht, freuen uns aber natürlich auch wieder darauf. Ich kam ohne konkretes Projekt nach Kapstadt, aber in meinem Kopf entstanden immer wieder neue Ideen. Ich werde auf alle Fälle wiederkommen und mit Hilfe meines neuen Netzwerkes vor Ort ein Projekt umsetzen. Was ich hier am meisten liebe, sind die Menschen und die Natur. Man fühlt sich durch die meist sehr offene und unkomplizierte Art sehr willkommen, und wir hatten gerade auch mit unserer geistig behinderten Tochter wunderschöne Begegnungen. Trotz der Mauern und Zäune fühlt man sich durch die beeindruckende Natur so unglaublich frei. Berge, Wasserfälle, wunderschöne Strände, tiefe Wälder und Weinanbaugebiete und das goldene Licht machen Kapstadt für mich einfach einmalig und ich bin so dankbar für diese Chance, die nicht nur für mich als Künstlerin viel Positives mit sich gebracht hat.

Es wäre schön, wenn in Zukunft nicht mehr so viele Künstler*innen durch ihre Lebenslage von Residency- Stipendien ausgeschlossen werden und ein Umdenken stattfindet.



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